Deine Augen sahen mich (Ps 139) - Katja Vesting, Pfarrerin i. E. im Pfarrbereich Alsleben/Saale (02/2012)

Das alte Jahr liegt bereits einen Monat zurück – das neue Jahr ist schon wieder einige Wochen alt. Gute Vorsätze
vielleicht schon längst wieder über den Haufen geworfen. Und wie geht es mir damit? Wie sehe ich mich?
Da ist ein bisschen Unzufriedenheit: Das Gefühl: „Ich hänge immer ein wenig dem hinterher, was ich eigentlich sein könnte, was ich eigentlich schaffen könnte.“

Als Anfängerin im Dienst beschäftigt mich die Frage: Was erwarten andere von mir und vor allem was erwarte ich selbst von mir? Die Schonfrist, wenn man irgendwo neu ist, ist vorbei. Nur Beobachten und Gewohntes fortsetzen geht nicht mehr.

Gerade wenn ich aber selbst aktiv werde, mehr Verantwortung übernehme und Gemeinde (mit-)gestalte, dann wird auch die Gefahr größer, dass ich anecke, Fehler mache und auch mir selbst nicht genüge. Mit so einem Gefühl bin ich zunächst allein, bevor ich wage, es einem guten Freund gegenüber auszusprechen - gegenüber Gott.
Ein guter Freund würde mir dann offen sagen: „Ja, meine Liebe, du kannst mehr, du hast so viele Potentiale in dir. Warum zeigst du nicht mehr davon?“ Dann würde er mich in den Arm nehmen und sagen: „Aber schau, das hast du schon ganz gut gemeistert. Hier bin ich stolz auf dich.“

Sich mit den Augen eines wirklichen Freundes zu betrachten, kann mich erschrecken lassen über mich selbst. Es wird mich aber zugleich auch barmherziger mit mir machen. Ein Freund kennt Stärken und Schwächen und gibt mich und meine Potentiale nicht auf. Gott ist so ein Freund. Und so möchte ich meine Mit- menschen und mich in diesem Jahr mit Gottes Augen sehen. Auch wenn mir dies nicht ganz gelingen wird, will ich doch versuchen, dass ich etwas von seiner Barmherzigkeit in meine Augen lege.

Katja Vesting
Pfarrerin in Entsendung im Pfarrbereich Alsleben/Saale