Kirchenkreis Halle/Saalkreis, Superintendent Hans-Juergen Kant
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14.08.2015
100 Tage gibt es sie jetzt schon, die "Koordinierungsstelle Engagiert für Flüchtlinge". Im Gespräch mit unserer Mitarbeiterin Julia Schmid, stellt sich der Koordinator Sören Am Ende den Fragen der Onlineredaktion.
Am Ende: Ich war am Anfang sehr erstaunt, was es alles schon an Initiativen in Halle gibt: Vereine, die sich engagieren, Kirchen, die bereits über längere Zeit Projekte haben. Man bekommt ja oft aus den Medien eher negative Meldungen mit und da war ich sehr positiv überrascht, was es alles schon gibt und wie viele Menschen sich einbringen in der Flüchtlingsarbeit.
Am Ende: Ich freue mich natürlich über jeden, der sich engagieren möchte und sage es denen auch immer, dass ich mich sehr freue. Für mich persönlich war ein Erlebnis besonders als ich in eine Integrationsklasse eingeladen war. Eine Klasse mit Flüchtlingen hatte die Möglichkeit einfach mal Fragen zu stellen: allgemeine Fragen zum Leben, wo man was findet, beispielsweise wohin man sich für Sachspenden wenden kann. Ich habe den Flüchtlingen eine Liste gegeben, wo sie was bekommen können, viele wussten das gar nicht. Da waren die sehr dankbar. Man hat das richtig in den Augen gesehen, wie sie sich freuen. Das war klasse, wirklich ganz nette Menschen und sehr zuvorkommend. Das war ein schönes Erlebnis!
Am Ende: Was ich immer schade finde ist, wenn man von Gruppierungen hört, die sich gegen Flüchtlinge und Ausländer aufmachen und da mobilisieren. Aber konkret in Bezug auf die Koordinierungsstelle gab es da zum Glück nichts.
Am Ende: Ich finde die Kooperation sehr gut. Wir nutzen die guten Strukturen der Freiwilligenagentur zum Vermitteln von ehrenamtlichem Engagement. Das sind zum Beispiel die Datenbanken und das ganze Prozedere wie wir die Vereine, Organisationen und Kirchen erfassen und dann daraus die Tätigkeitsprofile erstellen. Von der Stadt nutzen wir die Kontakte über Frau Schneutzer (Beauftragte für Migration und Integration der Stadt Halle, Anm. der Redaktion). Es wäre eine sehr mühsame Arbeit gewesen, die Kontakte zu den Beratungsstellen und Flüchtlingsunterkünften alle selber herzustellen. Frau Schneutzer hat mich in den ersten zwei Monaten mitgenommen, da sind wir viel herumgefahren und haben die ganzen Organisationen, die wichtig sind, die Beratungsstellen und die Flüchtlingsunterkünfte besucht.
Am Ende: An einer Stelle haben wir schon was optimiert. Bei der Freiwilligenagentur ist es normalerweise so, dass wir den Freiwilligen die Adressen von den Vereinen geben und sie sich dann selber dahin wenden. Wir haben aber festgestellt, dass es in der Integrationsarbeit besonders mit Flüchtlingen komplizierter ist. Einmal ist die Hürde von Freiwilligen größer, sich einfach so an eine Adresse zu wenden, wenn sie gar nicht wissen, was auf sie zu kommt. Die Freiwilligen wissen nicht, was das für Leute sind und wo die herkommen, sprechen nicht dieselbe Sprache. Da waren einfach zu viele Fragen offen. Deswegen war einigen der Schritt zu groß, die sind dann nicht hingegangen. Wir haben gemerkt, dass wir als Koordinierungsstelle da was machen müssen. Wir haben das Verfahren jetzt so optimiert, dass ich die Freiwilligen, die sich direkt in den Unterkünften einbringen wollen, zum ersten Treffen begleite. Wir gehen dann zu den Sozialarbeitern, die haben oft schon konkret eine Familie oder eine Person, dann ist die Hürde nicht so groß.
Am Ende: Das hat jetzt angefangen. Ich habe jetzt einen begleitet und bald habe ich die nächste Begleitung. Wir müssen natürlich sehen, wie das mit meiner Zeit klappt, wenn sich mehr Freiwillige melden. Momentan ist es machbar. Wir machen das so lange, wie es funktioniert.
Am Ende: Ich habe den Eindruck, dass die meisten Flüchtlinge, die hierher kommen, in Frieden leben wollen, eine Familie gründen und arbeiten wollen. Frieden steht wahrscheinlich an oberster Stelle. Ich denke, die meisten sind ganz normale Menschen wie alle anderen, die einfach in Frieden leben wollen.
Am Ende: Das ist eine gute Frage. Es ist so, dass die Flüchtlinge, grade aus Afrika, Syrien oder den arabischen Ländern, eine Kultur der Gastfreundschaft pflegen in den Heimatländern. Das finden sie hier nicht vor. Ich will nicht sagen, dass wir nicht gastfreundlich sind. Dass zum Beispiel Fremde nach Hause eingeladen werden zum Essen, das ist in vielen Ländern Gang und Gäbe. Aber damit ein Deutscher einen Fremden zu sich nach Hause einlädt zum Essen, da muss schon viel passieren. Ich glaube, es ist eines der größten Probleme der Flüchtlinge, dass sie Deutsche kennenlernen wollen, aber wir sind einfach von unserer Kultur her zu wenig offen. Ich erhoffe mir, dass da noch mehr Offenheit entsteht und dass man auch mal jemanden einlädt nach Hause.
Am Ende: Ja, viele suchen soziale Kontakte. Ich habe einen Flüchtling kennengelernt, der sagte, ich sei nach vier Monaten der erste Deutsche, der ihn anspricht. Dabei habe ich nur einfach mal „Hallo“ gesagt und gefragt, wo er herkommt. Das zeigt, dass viele sehr frustriert sind, wenn sie hier ankommen und kaum zu Deutschen Kontakt aufnehmen können. Sie möchten gerne Deutsche kennenlernen, finden unsere Kultur schön, wollen die Städte kennenlernen und sind sehr offen. Wenn man Flüchtlinge aus Angst vor fremden Menschen nicht anspricht, dann kann ich das auch irgendwie nachvollziehen, aber für die ist das sehr schwer.
Am Ende: Als ich angefangen habe, habe ich wie vorhin angesprochen erst gemerkt, wie viele Vereine es in Halle schon gibt, auch schon seit mehreren Jahren. Die Flüchtlingsproblematik ist ja nichts neues, nur die Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, ist sehr gestiegen. Es gibt also seit Jahren Initiativen. Aber es werden auch Neue gegründet, die sehr schnell Ideen haben und sehr kreativ sind. Ich bin sehr glücklich darüber. Ich sehe da auch für die Kirchen in Halle große Chancen, denn eine Kirchengemeinde kann natürlich ganz andere Projekte starten als einzelne Personen. Wenn die Gemeinden dann auch noch kreative Ideen haben, kann es in nächster Zeit ein sehr schönes buntes Angebot werden.
Am Ende: Es gibt einige Projekte, die schon sehr gut laufen. Ich selbst habe aber nicht mit allen direkt zu tun. Da ist zum Beispiel die Hausaufgabenhilfe. In der Luthergemeinde in der Südstadt ist eine, die sehr gut läuft.
Am Ende: Ich denke, die Alltagsbegleitung ist wichtig, dass eine Hallenserin oder ein Hallenser eine Familie oder eine Einzelperson an die Hand nimmt und Halle zeigt. Zum Beispiel zeigt, wo wichtige Sachen sind, bei Arztbesuchen hilft oder auf Elternabende begleitet, weil da viele Flüchtlingseltern überfordert sind, die die deutsche Sprache noch nicht so gut können. Da könnte im Prinzip für jeden Flüchtling eine Hallenserin oder ein Hallenser gefunden werden. Da ist großes Entwicklungspotential da. Darüber hinaus sind auch Sprachangebote immer sehr gefragt, also Leute, die kleine Sprachkurse anbieten. Da ist der Bedarf riesengroß.
Am Ende: Ich persönlich habe noch niemanden kennengelernt, der damit Probleme hat. Sagen wir mal so, ein Tropfen kühlt den Stein noch nicht ab, aber viele Tropfen bewirken etwas.
Am Ende: Einmal brauchen die Menschen hier Hilfe und Unterstützung. Eine persönliche Motivation wäre Mitleid. Flüchtlinge haben viele schreckliche Dinge erlebt, in ihrem Land und auf der Flucht. Eine durchschnittliche Flucht dauert zwei Jahre. Wenn man sich die Länder Syrien und Deutschland mal auf der Karte ansieht, kann man sich wegen der geographischen Verhältnisse gar nicht vorstellen, wie eine Flucht aussieht. Ich glaube, man kann nicht allen helfen, aber man kann anfangen. Ich denke, dass Mitgefühl und Hilfsbereitschaft uns Menschen erst menschlich werden lässt. Ich finde es wichtig, dass wir das auch den Flüchtlingen entgegenbringen. Und ich habe selbst die Dankbarkeit der Flüchtlinge erlebt. Beim Blick in die strahlenden Augen bekommt man da auch sehr viel wieder zurück. Die Flüchtlinge nehmen die Hilfe sehr an, weil sie die Unterstützung auch wirklich brauchen. Wir sind über jeden froh, der da ein Stück mithilft.
Am Ende: Wir versuchen, mit denen in Kontakt zu bleiben. Ich rufe immer mal an und frage, ob es Probleme gibt. Wir wollen ja nicht, dass die Freiwilligen frustriert sind. Wenn es Probleme mit den Einsatzstellen gibt, versuchen wir, mit denen zu reden und Sachen zu optimieren. Das Problem ist ja, dass die Einsatzstellen sehr viel zu tun haben. Die Anlaufstellen, die es momentan gibt, sind nicht für diesen Andrang ausgelegt. Es ist viel Bedarf da, dass da mehr Stellen geschaffen werden. Deswegen haben die Einsatzstellen wenig Zeit, eine ausführliche Einführung in das Ehrenamt zu geben. Aus diesem Grund haben wir eingeführt, dass ich die Freiwilligen begleite.
Am Ende: Unsere Engagementmöglichkeiten sind fast immer mit Schnupper- bzw. Probezeit, die man selber festlegen kann. Beim Erstgespräch mit der Einsatzstelle wird so was besprochen. Dadurch, dass es ein Ehrenamt ist, kann man jederzeit sagen, wenn es einem zu viel ist, dass man zurücktreten möchte oder weniger mitmachen möchte.
Am Ende: Wir haben den Freiwilligentag am 19.9. mit einem Flüchtlingsprojekt. Am 1.10. ist die Infomesse „Engagiert für Flüchtlinge“, wo sich alle Vereine, Gemeinden, Organisationen vorstellen können, die was für Flüchtlinge anbieten und Freiwillige suchen. Da rühren wir noch die Werbetrommel, damit möglichst viele kommen.
Am Ende: Ein Wunsch wäre, dass sich immer mehr Hallenserinnen und Hallenser melden. Man merkt, es steigt schon an. Am Anfang haben sich viele gefreut, dass es jetzt endlich was gibt, wo man sich melden kann. Aber der Bedarf ist noch groß, es wäre schön, wenn es immer mehr Menschen werden. Für in einem Jahr würde ich mir wünschen, dass Kirchenprojekte starten, die kreative Ideen einbringen.