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Evangelischer Kirchenkreis Halle-Saalkreis

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04.11.2018

Glaube und Politik: Predigt von Sup. Kant und der Gemeindeleitung auf MDR Kultur

Liebe Gemeinde,

Predigten sollen unpolitisch sein. Die Kirche soll sich nicht einmischen in politische Fragen. So höre ich es manchmal. Aber geht das? Ich bin doch als Christ auch Bürger einer „politeia“, eines Staates. Als solcher muss ich auch Position beziehen. Die Bibel jedenfalls weicht politischen Fragen nicht aus. „Was hältst du von der Obrigkeit, vom Kaiser?“ So wird schon Jesus gefragt. Seine Antwort lautet: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Aha, kein Revoluzzer, denken die Leute. Aber kann es da nicht trotzdem hin und wieder zu Ansprüchen kommen, die einander entgegenstehen?

Auch der Apostel Paulus erklärt seine Position. Und die schreibt er auf - in seinem Brief an die Römer im 13. Kapitel:

Ulrike Scheller

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.

Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.

Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.

Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

 

Liebe Gemeinde,

was wird uns hier zugemutet! Was Paulus da geschrieben hat, das ist ja längst überholt. Wer will denn heute noch ein Untertan sein?! Oben die Obrigkeit und unten ich - der Untertan. Da will man einwenden: Die Rede vom Untertan, die ist von gestern. Heute sind wir mündige Bürgerinnen und mündige Bürger in einer Demokratie! Und dass in der Weltgeschichte jede Obrigkeit von Kaiser Wilhelm bis Erich Honecker von Gott war und jetzt noch ist – das bitte ich Sie doch herzlich zu bezweifeln.

 

G.K.:

Dem Kaiser durfte man nicht widersprechen. Sei untertan der Obrigkeit. So haben es unsere Vorväter gelernt. Alle Obrigkeit kommt von Gott. Wage ja nicht, sie in Frage zu stellen. Das war eine gängige Haltung. Auch unter Christen. Ein böses Erbe, auf das wir zurückschauen müssen.

 

J.S.:

Ich finde, es geht doch erst einmal darum, sich gesittet zu verhalten. Und zwar gegenüber allen, die für uns sorgen sollen bzw. dafür eingesetzt sind. Ich würde daher „Obrigkeit“ und „Staat“ als Begriffe nicht in einen Topf werfen.

Den Staat sollten wir als Ordnungsmacht akzeptieren. Ohne ihn gäbe es Anarchie. Der Staat versorgt uns mit Wasser und Strom und allem, was wir zum Leben brauchen. Und darüber hinaus ist er ja mehr als Polizeikontrolle und Steuererklärung! Er organisiert schlicht einen guten Teil unseres Lebens.

 

Paulus, ich frage dich: Warum nimmst du den Staat und den Kaiser unkritisch, einfach als gegeben hin?

Liegt es daran, dass in diesen Jahren in Rom relativ ruhig regiert wird? Kaiser Nero sitzt noch nicht lange auf dem Thron. Er zeigt sich am Anfang als einer, der sein Urteil wohlüberlegt fällt. Er sagt: Die Rechtsprechung der Senatoren ist eigenständig. Da rede ich nicht rein. Außerdem senkt er die Getreidepreise und sorgt für Brot und Spiele. Der große Stadtbrandt, der wird erst noch kommen. Dann wird Nero die Christen beschuldigen und verfolgen. Trotzdem, als du deinen Brief schreibst, ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Du siehst doch, Paulus, wie das Römische Reich funktioniert: mit seinen Eroberungen, einem ausgeklügelten Steuersystem. Mit Sklaven, die für die Reichen schuften müssen. Mit Militärs und Zolleinnehmern. Statthaltern und Vasallen.

Und du, Paulus, hast es ja selbst erlebt, wie man mit Menschen, die anders denken oder glauben, umgeht: Stockschläge hast du bekommen und du musstest sogar im Gefängnis sitzen.

 

C.S.-G.:

Als ich noch ein Kindergartenkind war, lernte ich, dass es drei Welten gibt: Den Küchentisch und die Kirche, wo gesagt werden darf, was man denkt. Und die andere Welt, die größere, in der man nicht sagen darf, was man zum Beispiel an einem Montag im Herbst 1989 mit der Kerze in der Hand auf der Schulter seines Vaters gemacht hat.

Aber dann veränderte sich alles. So kam ich in die glückliche Lage, schon als Schulkind in eine Welt hineinzuwachsen, die sich demokratisch gestaltet. Ich entdecke erst jetzt, wie groß dieses Geschenk ist: Nie musste ich aktiv Widerstand leisten. Ich bin nicht wie die Generation vor mir in Gewissenskonflikte geraten: Wo muss ich dem Gewissen folgen und wo der staatlichen Erwartung?

 

Das hast du, Paulus, so nicht erlebt. Eine gewisse Ordnung schon. Das Privileg, römischer Bürger zu sein, hast du genutzt und sicher auch genossen. Du forderst jedenfalls nicht zum Widerstand gegen den Kaiser auf. Oder verlangst: Schluss mit der Sklaverei!

Ein paar Jahre später nach dir, Paulus, werden Christen schwer verfolgt. Da reden sie ganz anders vom römischen Kaiser. Sie sehen ihn als ein Tier, das aus dem Abgrund aufsteigt, ein Drachen, der sich von allen anbeten lässt. (Offbg.13)

Doch erstaunlich ist: Dieses Tier hat keine Chance, gegen Gott anzukommen. Im Gegenteil. Es hat seine Macht von Gott. Was geschieht, geschieht auch hier nicht losgelöst von Gottes Willen. Am Ende wird das Tier überwunden.

Ein Staat oder ein Herrscher, auch wenn er sich absolut setzt, bleibt unter Gottes Hand. Das könntest du, Paulus, auch unterschreiben. Und jede Zwangsherrschaft wird ein Ende finden. Gott setzt es ihr. Auch wenn sich die Mächtigen als ewig generieren.

 

G.K.:

Ich denke an die DDR-Zeit. Viele haben gekuscht. Aber manchmal wurde doch aufgemuckt. 1968 zum Beispiel, ich war dabei: Um ihre Macht zu sichern, beschloss die SED: Wir brauchen eine neue Verfassung. Der Entwurf wurde diskutiert. Ich war damals Theologiestudent in Jena. Mit anderen waren wir uns einig: Diese Vorherrschaft der SED wollen wir uns nicht festschreiben lassen.

Mit einer Flugblattaktion haben Kommilitonen und ich die Wähler aufgefordert, ihr Kreuz bei "Nein" zu setzen. Sieben Monate später wurden wir verhaftet und kamen in Stasi-Untersuchungshaft. Nach dem Freikauf erfolgte die Exmatrikulation und die Bewährung in der Produktion, bei mir - auf dem Bau als Schlosser. Die Kirchenleitung hat mir gegenüber geschwiegen. Sie hat mich hängen gelassen. Eine Kirche, die sich wegduckt, wenn Unrecht geschieht, ist wie Salz, das man nicht gebrauchen kann.

 

U.W.

Bei mir war es anders. Ich wurde 1960 in die Demokratie hineingeboren – in Westdeutschland.

Aber: Typisch für Kriegsenkel habe ich angefangen, nach dem Nationalsozialismus in der eigenen Familie und im eigenen Studienfach zu fragen. Man wusste: Da waren im III. Reich Forscher vertrieben worden. Weil sie nicht in das Schema der Nazis passten. Ich wollte wissen: Was ist da wirklich geschehen - vor und nach 1945? Wer musste konkret leiden und warum? Ich wollte das mit meiner Arbeit öffentlich machen, um denen Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen, die Opfer wurden.

Ich diene niemandem, indem ich das Alte ruhen lasse. Sondern: Wenn ich die Schränke aufmache, die eigentlich geschlossen bleiben sollten. Wenn ich der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfe. Gott ist auf der Seite der Wahrheit. Und jeder Staat hat der Wahrheit zu dienen.

 

Paulus, ich lese aus deinem Schreiben nach Rom kein politisches Programm heraus. Ich finde bei dir auch keine ausgefeilte Lehre über den Staat. Du nimmst ihn als gegeben hin. Siehst ihn, wie alles auf der Welt, von Gott geschaffen. Deshalb soll der Staat den Menschen dienen. Er soll für äußeren Frieden sorgen. Dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger unter dem gleichen Recht zusammenleben. Der Staat hat nicht den Auftrag, seinen Bürgern die Religion oder die Gesinnung vorzuschreiben.

 

J.S.:

Demokratie ist mühevoll und die Ergebnisse sind oft nicht berauschend. Aber sie ist vermutlich die beste aller Herrschaftsformen.

Wir sind alle der Staat. Wir sollten nicht auf ihn schimpfen, denn wir bilden ihn mit – jeder in seinem Umfeld; jeder, wie es ihm möglich ist.

Ich verstehe den christlichen Auftrag jedenfalls so, dass ich nicht selig werde, wenn ich mich absondere und mich in meine Höhle zurückziehe, sondern indem ich konstruktiv mitwirke.

 

G.K.:

Ich bin seit 1990 im Stadtrat, und weiß wie und was wir bewegen können, oft auch mit Kompromissen. Ich habe die Chance, direkt vor Ort mitzuwirken. Die Demokratie ist ein Geschenk, was verpflichtet. Rumblödeln, sich abdrehen und nur meckern und sich nicht einbringen, engagieren wollen für die Menschen, für die Stadt ist für mich Faulheit.

 

Wenn die Demokratie in Gefahr ist, muss es ein Widerstandsrecht geben und auch eine Widerstandspflicht. Für Christen gilt ohnehin: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg. 5,29). Wenn es gegen dein Gewissen geht, dann musst du dich verweigern, auch wenn du mit Nachteilen zu rechnen hast.

Die stärkere Form ist der „zivile Ungehorsam“. Da besetzen Bürgerinnen und Bürger Plätze in der Stadt, damit Demonstranten mit menschenfeindlichen Parolen keinen Zugang in die Innenstadt bekommen. Eine symbolische Handlung, ohne die Rechtsordnung als solche in Frage zu stellen. Dieser „zivile Ungehorsam“ wird auch von Christinnen und Christen praktiziert: Wo sie Kirchenasyl gewähren, weil ihnen ihr Gewissen sagt: So geht es in diesem konkreten Fall nicht! Und sie appellieren damit zugleich an die Regierenden: Bitte, überprüft noch einmal eure Entscheidung!

In einer Diktatur geht das Widerstandsrecht noch weiter. Da müssen sich alle, auch die Christinnen und Christen, gegen das Unrechtssystem auflehnen. Das ist ein Notrecht des Volkes, wenn die grundlegenden Menschenrechte schwer und anhaltend verletzt werden.

 

C.S.-G.

Ich frage mich: Wie wäre das zur Nazizeit gewesen? Ich weiß es nicht. Die Pfarrer hier an der Marktgemeinde haben keinen Widerstand geleistet. Sie haben mitgemacht. Zum Teil trugen sie Uniform und Stiefel unter dem Talar. Ich befürchte, wir hätten uns vielleicht auch nicht gewehrt – aus Angst.

Ich will schon fragen: Was hat der Nationalsozialismus mit dem Protestantismus gemacht? Er wurde ja von vielen Protestanten mitgetragen.

 

Zum Glück nicht von allen. Christen wie Dietrich Bonhoeffer, Graf von Stauffenberg oder die Studentinnen und Studenten der „Weißen Rose“ haben ihre Staatsloyalität aufgekündigt, Widerstand geleistet. Stauffenberg ging mit einer Bombe in der Aktentasche in den Führerbunker. Das „Deutschland erwache“ am Beginn des III. Reiches wurde am Ende zur Aufforderung: Komm, öffne die Augen! Sieh doch, dass alles ins Unglück läuft, wenn jetzt nicht das Ruder rumgerissen wird.Der Staat darf niemals ein totalitärer sein. Du hast Recht, Paulus: Den Trägern irdischer Macht schulden wir: Steuer – Zoll – Respekt – Ehrfurcht. Ansonsten aber muss sich die Obrigkeit bescheiden.

 

Liebe Gemeinde,

es ist schön, dass wir in einer Demokratie leben. Ich hoffe es sehr, dass sie unseren Kindern und Kindeskindern erhalten bleibt. Mit anderen will ich alles dafür tun: Mich einsetzen, mitmachen, mitgestalten, wo das Gemeinsame im Blick ist und Zukunft eröffnet.

 

C.S.-G.

Für mich erklärt sich Gottes Erwartung an uns von einer Bibelstelle her, die den Versen des Predigttextes folgt: „Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt.“ Diese Liebe ist entscheidend. Egal unter welcher Obrigkeit.

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