Kirchenkreis Halle/Saalkreis, Superintendent Hans-Juergen Kant
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20.07.2019
Am 20.7.2019 sind es 75 Jahre, die seit dem sogenannten „Hitlerputsch“ oder „Stauffenberg-Attentat“ vergangen sind. Heute wollen Mitglieder und Sympathisanten der sogenannten “identitären Bewegung“ demonstrieren, marschieren, feiern – sie werden versuchen, die Stadt Halle als ein Gebiet für ihr Verständnis von Deutsch – national und europäisch-Sein zu nutzen. Sie geben vor, Europa zu verteidigen und betonen auf dem dritten Wort „Deutschland bleibt unsere Heimat“. Wir sollten wissen, was sie damit meinen Ein Slogan ist kein Inhalt – den müssen wir aus ihren Handlungen herauslesen. Dazu können wir uns verabreden – über den heutigen Tag hinaus. Wir sollten das tun – denn nicht die Frage nach Heimat und Europa ist erschreckend – sondern die Antworten aus nationalistisch-rassistischer Geschichtsinterpretation, aus Angst- und Hysteriebestätigung, aus entsolidarisierender Polemik und Hetze.
Europa verteidigen, Deutschland als Heimat zu verstehen – das klingt plausibel. Wer wollte nicht Europa als Einheit in Vielfalt verstehen wollen? Und genauso Deutschland als Heimat für Menschen unterschiedlichster Lebensentwürfe auf dem Boden des Grundgesetzes? Und wer erkennt nicht Fehler im Alltag und in Grundentscheidungen und möchte Veränderungen? Und wer fühlt sich nicht manchmal überfordert? Wie oft höre ich das Grundmisstrauen gegen „die da oben“?! Nicht wenige möchten lieber beißender Polemik beipflichten, ihre Wut rauslassen. Manchmal verständlich - aber das darf und nie reichen!!
Wenn am 20. Juli auch an das Attentat auf Hitler und seine Führungsriege erinnert wird, dann ist es gut, die nicht homogene Gruppe zwischen Roter Kapelle, Kreisauer Kreis und Offizieren im Widerstand genau zu beachten. Wir finden Menschen, deren Aussagen sich für die „Identitären“ bestens eignen, ihr Elitedenken und ihr Sendungsbewusstsein für Deutschland daraus abzuleiten. Und die „Identitären“ werben damit, dass sie für junge, dynamische Deutsche ohne Migrationshintergrund da sind. Sie wollen sie schulen, lehren und aufklären. […]
Was wir schon wissen und zugleich begründbar und erkennbar darstellen müssen: Die Vielzahl der Widerständler*innen von 1944, ihre Haltungen und Meinungen, sie sind kein Alibi für erneuerten Nationalismus. Sie bieten eine fundamentale ethische Perspektive, die Lösungen nicht in der Ausgrenzung und menschenverachtenden chauvinistischen Rassenideologie sucht. Und wenn wir uns damit befassen, dann auch mit den Beschränkungen, den Rahmenbedingungen, dem Zeitbezug vieler Haltungen – ohne Entschuldigung und ohne Überheblichkeit.
Wir brauchen in unserem Land die unterschiedlichen Lebensentwürfe, die auf Respekt und Anerkennung des Mit-Menschen, gleich welcher Herkunft, aufbauen. Auf Gegenseitigkeit und für ein nachbarschaftliches Miteinander der Kulturen und Religionen.
Als Christ und Pfarrer bin ich gern Teil des Bündnisses „IB.Geht nicht!“. Es geht und steht dafür, dass wir mit unterschiedlichen und unterscheidenden Beweggründen die Antwort auf die Frage nach „Herkunft, Ankunft, Zukunft“ (Peggy Mäder – Fontane-Preisträgerin, *1976 Dresden) suchen, finden und mit- (einander)teilen. Unsere Verantwortung richtet sich zugleich gegen eine nationalistische und rassistisch grundierte Engführung des Begriffes „Identität“. Egal, in welcher folkloristischen, intellektuellen, kreativen oder populären Verpackung die Identitäre Bewegung dieses Wort füllt. Sie signalisiert aggressive Verteidigungsbereitschaft, nimmt den Tod tausender billigend als „Abschreckung“ in Kauf und forciert Abschottung und damit Angst vor gerechteren und fair ausgehandelten globalen Strukturen.
Wir aber können die Grundlagen eines regionalen und globalen, eines persönlichen und gemeinschaftlichen, eines solidarischen und friedensstiftenden, eines rechtsstaatlichen und gerechten Bündnisses beschreiben. Protestantisch gesprochen – Widerstand heute bedeutet nun wirklich bedingungslos solidarische Perspektive. In den Herausforderungen sollen uns keine Angst, aber Risikobereitschaft, es soll uns kein Erschrecken, aber volle Aufmerksamkeit, es darf kein Vorurteil, aber die bleibende Neugier, keine Ausgrenzung, aber der geforderte gegenseitige Respekt den Weg weisen. Jeder Mensch ist anfällig für angepasste Viren des völkisch-frommen Nationalismus, Rassismus und Chauvinismus. Aber die Werte aus den Seligpreisungen, die Vision des Umschmiedens der Schwerter zu Pflugscharen, das Kunstprojekt „Engel der Kulturen“ – sie stehen für eine lebendige und tatkräftige Haltung, für Mitmenschlichkeit und Solidarität als Ansätze für eine globale Identität „MENSCH“.
Als Christen sind wir für eine Klärung dessen, was ein gemeinsames Verständnis von Identität ausmachen kann. Unser geistlicher Ansatz will zuerst die Hilfe und die Antwort für jeden Menschen ermöglichen. Wir vertrauen darauf, dass aus jedem begeisterten Soldaten oder Offizier, wie Fritz Hartnagel am Ende des 2. Weltkrieges in Halle, ein Kämpfer für Abrüstung werden kann. Wir trauen IB-Anhänger*innen zu, ein Weltbürger mit solidarischer Ausstrahlung zu werden. Was verrückt klingt, das darf uns nicht verrückt machen! Lasst uns die Ausgrenzungen verrücken, wegschieben und so umwidmen, was den Geist einengt. Unser gemeinsamer Lebensraum soll und kann gestaltet werden mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturräumen, Religionen und politischen Haltungen. Das ist Teil eines Verständnisses unserer Lebenskultur – übrigens seit Jahrhunderten. Ein mitteilbarer Kulturraum.
Zuletzt ein Erlebnis vom Samstag voriger Woche. Beim Verteilen der Einladungen für „IB. Geht nicht“ sagte mir eine ältere Dame: „... dass das Haus der Identitären Bewegung aber auch so schlimm aussehen muss – ne, das ist wirklich nicht schön. Das waren bestimmt diese Linken…“ Ich fragte zurück: „Ist es nicht manchmal besser, dass wir schon von außen erkennen können, wie sehr uns das beschmutzt und verdreckt, was darin passiert?“
„Stimmt eigentlich – aber schön ist es trotzdem nicht,“ sagte sie
„Stimmt“, erwiderte ich, „aber wenn das Haus den Inhalt wechselt und wir dafür sorgen, dann...“
Peter Kube